Das Zollingerdach erfreute sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit. Erfunden wurde es in Merseburg in Sachsen-Anhalt. Dort entwickelte der Architekt und Stadtbaumeister Friedrich Zollinger im Zuge der herrschenden Wohnungsnot die Schüttbeton-Gussbauweise und das Zollbau-Lamellendach.
Im Aussehen und Aufbau unterscheidet sich das Zollingerdach deutlich von den heute üblichen Dachformen. Für seine Konstruktion werden kurze Lamellen verwendet, die so im Winkel zueinander angeordnet werden, dass ein Netz von übereinander und nebeneinander liegenden Rauten entsteht, die mit Schraubverbindungen befestigt werden.
Diese Bauweise hat mehrere Vorteile. Durch bogenförmige Biegung der Dachflächen werden für den Dachfirst keine weiteren Stützen benötigt. So entsteht im Innenraum deutlich mehr Platz. Da die verarbeiteten Lamellen alle gleich lang sind, können sie in großer Stückzahl maschinell vorgefertigt werden. Außerdem wird im Vergleich zu anderen Bauweisen rund 40 Prozent weniger Holz für die Dachkonstruktion benötigt.
Nachdem Friedrich Zollinger 1923 auf die Konstruktionsweise Patent angemeldet hatte, wurde das Zollingerdach vermehrt gebaut. Man fand es nicht nur auf Wohnungsneubauten. Auch Dächer öffentlicher Gebäude, Markthallen, Scheunen, Flugzeughangars, Kirchen und Eisenbahnhallen wurden nach Zollbauweise errichtet.
Richtig durchgesetzt hat sich das Zollingerdach dennoch nie. Neben der anspruchsvollen statischen Berechnung, bedeutet der kleinteilige Aufbau großen Zeitaufwand. Ein großer Nachteil ist zudem die Verwendung der Schraubverbindungen. Da Holz „arbeitet“, kann es zur Lockerung der Bolzen kommen, was eine regelmäßige Überprüfung nötig macht.
Obwohl die Dachform ungewöhnlich ist, kann man ein Zollingerdach übrigens nicht sofort als solches zuordnen. Da es einem Tonnendach ähnelt, ist ein Blick unter die Ziegel nötig, um zu erkennen, ob die Bauweise des Merseburger Architekten angewendet wurde.
Quelle Fotos:
“Luthersaal mit Orgel in Kötzschenbroda” von Radobyl – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21280938
“Marthabräuhalle in Fürstenfeldbruck” von Bergfalke2 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14816107